Projekt: Virtueller Biegewellen Lautsprecher


Mittel-Hochton Paneele mit kontrollierter Phasendekorrelation



© Oliver Mertineit




Motivation

Der einzigartige Vollbereichs Biegewellenwandler Model 2 hat bereits viele Hörer begeistert. Der Begeisterung standen bei manchen Hörern jedoch der Fertigungsaufwand und die damit verbundenen Kosten eines solchen Systems entgegen.

Deshalb stellte ich mir nun im Sommer 2013 die Frage: "Wäre es möglich, entscheidende Eigenschaften im Abstrahlverhalten eines Biegewellen Lautsprechers nach o.g. Vorbild zu erreichen oder gar zu übertreffen, indem man eine Vielzahl kleiner und entsprechend modifizierter konventioneller Schallwandler verwendet und diese in geeigneter Weise ansteuert ?"

Da die akustischen Eigenschaften des Model 2 und seine Interaktion mit dem Hörraum messtechnisch gut erfasst sind, können vorhandene Messdaten und Erfahrungswerte als Basis für das neue Projekt genutzt werden. Speziell die Eigenschaften im Mittel- und Hochtonbereich sollen in wichtigen Aspekten gezielt aufgenommen und nach Möglichkeit sogar verfeinert werden:


Diese Eigenschaften tragen der Auffassung Rechnung, daß nach allen Richtungen phasenkohärent abstrahlende Lautsprecher ein für übliche Wohnräume ungünstiges Konzept sind. Die in üblichen Wohnräumen deutlich mangelhafte Diffusivität des frühen Nachhalls, welche von ganz oder teilweise glatten Böden, Wänden und Decken herrührt, wird bei diesem Ansatz durch eine sanft zunehmende Phasendekorrelation des Lautsprechers außerhalb der Hörachse aufgefangen:

Die ungünstige Auswirkung der frühen Reflexionen im Hörraum auf die gehörmäßige Figur-Hintergrund Trennung einer zu reproduzierenden akustischen Szenerie wird im Mittel- Hochtonbreich dadurch umgangen, daß die sonst "lautsprechertypische" enge zeitliche Korrelation zwischen der Abstrahlung zum Hörer einerseits und der Abstrahlung in die Breite und Höhe des Raums andererseits auf eine kontrollierte Weise aufgelöst wird, welche die spektrale Balance - die ihren Niederschlag in der Ausgewogenheit von Klangfarben findet - im Nachhallanteil des Raums bewahrt.

Die Perzeption des Direktschalls wird nun weniger durch Raumreflexionen beeinträchtigt und dem Hörerlebnis in akustisch hervorragend ausgestatteten Räumen angenähert, welche u.a. gut wirksame Diffusoren an Wänden und Decke aufweisen. Dies trägt ebenso zu einem entspannten Langzeithören bei. Mit dem Ansatz sind aufnahmeseitig vorhandener Nachhall und Rauminformation wesentlich glaubhafter darstellbar als mit Lautsprechersystemen, welche z.B. nur sehr einseitig auf Richtwirkung allein setzen, um die akustischen Probleme üblicher Wohnräume zu umgehen. Auch wird der Hörer nicht auf einen allzu eng umgrenzten Platz eingeschränkt. Es kann auch für mehrere Hörer an unterschiedlichen Plätzen im gleichen Raum ein qualitativ hochwertiges Hörerleben stattfinden.


Zusammenfassung des Konzepts

Eine sinnvolles Maß an Richtwirkung (Bündelungsmaß) wird mit einer sehr fein abgestuften Phasendekorrelation außerhalb der Hauptachse der Schallabstrahlung kombiniert. So ensteht ein neuartiges Rundstrahlverhalten, das den Lautsprecher für das menschliche Gehör wesentlich weniger auffällig mit dem Hörraum interagieren lässt.

Unerwünschter "Lautsprecherklang" ist in vielen seiner Erscheinungsformen nichts anderes als ungünstige Lautsprecher/Raum Interaktion. Für diesen Zusammenhang ist nicht primär das technische Wirkprinzip eines Lautsprechers entscheidend (wie z.B. Elektrostat, Bändchen, Dynamischer Lautsprecher), sondern sein Rundstrahlverhalten in allen räumlichen und zeitlichen Aspekten. Dazu zählt auch die räumliche und zeitliche Feinstruktur der Abstrahlung, welche mit den üblichen Messverfahren aufgrund mangelnder räumlicher Auflösung und üblicher Mittelwertbildung meist nicht angemessen erfasst wird.

Von bestimmten Bauformen des Biegewellenlautsprechers kann gelernt werden, wie sich diese Lautsprecher/Raum Interaktion für das menschliche Gehör - das letztlich im Mittelpunkt steht - störungsfreier gestalten lässt. Der Virtuelle Biegewellen-Lautsprecher kann diese nützlichen Teilaspekte der räumlichen Schallabstrahlung mit speziell dafür entwickelter konventioneller Schallwandlertechnik z.T. sogar leichter abbilden. Denn die extrem komplizierte und daher oft kompromissbehaftete Auslegung von Kompositmaterialien für eine hochwertige "reale" Biegewellenmembran entfällt zum großen Teil. Einige Artefakte, welche bei Biegewellenlautsprechern durch konstruktive Maßnahmen aufgefangen werden müssen, treten beim hier verfolgten Konzept erst gar nicht auf.

Ein virtueller Biegewellenlautsprecher beginnt daher als Rechenmodell, welches dann als konkrete Lautsprecheranordnung mit eigens darauf abgestimmter Ansteuerung realisiert wird. In der Auslegung der Parameter können bei Bedarf sogar die Grenzen verfügbarer realer Materialien gesprengt werden, wie man sie bei "realen" Biegewellenwandlern akzeptieren müsste: Ausbreitungsgeschwindigkeit virtueller Biegewellen auf einer virtuellen Membran sowie deren Frequenz- und Richtungsabhängigkeit können nahezu beliebig gewählt werden, da sie nicht mehr auf realen Materialeigenschaften wie Elastizitätsmodulen und Dichte einer realen Biegewellenmembran beruhen:
Das technische Konzept hat nachweislich das Potential, speziell im Mittel- Hochtonbereich über die Auslegungsgrenzen bisher handelsüblicher High-End Biegewellenwandler weit hinauszugehen und das sogar bei verbesserter Kosten/Nutzen-Relation.

Hier ist auch die Neigung einiger derzeit für Biegewellenmembranen verwendeter Materialien zu nichtlinearen Verzerrungen zu erwähnen, welche sogar im High-End Bereich oft billigend in Kauf genommen werden. Der virtuelle Biegewellenlautsprecher kann sich dieser Problematik praktisch vollständig entziehen.


Abstrahlverhalten: Eine erste Machbarkeitsanalyse


In der folgenden Simulation wurden bereits einige der o.g. Aspekte eines Virtuellen Biegewellenwandlers berücksichtigt:

Virtueller Biegewellenwandler

Die Kurvenscharen sind errechnet für Abstrahlwinkel von 0 Grad (Kurven 1..5), 45 Grad (Kurven 6..10) und 65 Grad (Kurven 11..15). Die fünf Kurven je Schar entstanden durch Variation des Winkels in 8 Grad Schritten.

Die Frequenzgänge außerhalb der Achse haben untereinander einen weitgehend komplementären Verlauf und addieren sich zu einem ausgewogenen Energiefrequenzgang. Selbst für große Winkel um ca. 60 Grad außerhalb der Achse bildet sich bis ca. 10Khz kein Hochtonabfall aus, sondern ein mit der Frequenz sehr stetiges Bündelungsverhalten. Die Ähnlichkeit des Modells zur Abstrahlung eines physisch realisierten Biegewellenwandlers (s.u) ist bereits deutlich erkennbar.


Zum Vergleich die Messung eines "realen" physisch realisierten Biegewellenwandlers - hier ohne Korrekturnetzwerk zur Hochtonanhebung - mit Zeitfenster gültig ab ca. 1Khz:

Physischer Biegewellenwander


Die Messwinkel betragen hier 0 Grad (blau), 30 Grad (rot) und 45 Grad (orange). Die Frequenzgänge zeigen außerhalb der Achse bei korrekter Auslegung ein dekorreliertes Abstrahlverhalten, jedoch mit komplementären Frequenzgängen außerhalb der Achse, welche sich zu einem sehr ausgewogenen Energiefrequenzgang summieren.

Durch Verfeinerungen von Aufbau und Ansteuerung wird es sogar möglich werden, virtuelle Biegewellenwandler mit einem Abstrahlverhalten herzustellen, welches außerhalb der Möglichkeiten verfügbarer Materialien für physische Biegewellenmembranen liegt.


Angestrebte Bauformen und Preiskategorien

Die zu entwickelnden Lautsprecher sollen als Mittel- Hochtonpaneele mit flacher Bauform unter 6cm Tiefe ausgeführt werden. Es ist beabsichtigt, diese Mittel- Hochtonpaneele als fertig abgestimmte Einheiten auch für den ambitionierten Lautsprecher-Selbstbau anzubieten. Hier sollen Einstiegsmodelle trotz besserer Eigenschaften merklich günstiger als handelsübliche Konzepte im Bereich der High-End Biegewellenwandler verfügbar werden.

Durch einen breiten Bereich an möglichen Übernahmefrequenzen und gutmütige Anschlusswerte soll die Integration in verschiedenste Lautsprecherkonzepte vom Vollbereichs-Dipolstrahler bis hin zur Regalbox unterstützt werden.